Als ich in Klingenberg am Main angekommen bin, denke ich mir: erstmal hoch in den Weinberg, Fotos machen. Später kommt vielleicht wieder ein Gewitter. Die Parzellen von Britta und Basti (yes, another Basti) vom Weingut Bastian Hamdorf liegen ganz hinten am Berg – und ganz oben. Ich kraxele die steilen und ausgetretenen Stufen hoch, mache ein paar Fotos hier, ein paar Fotos da – und bin schon völlig schweißgebadet. Ob Basti sich manchmal nach einem bequemen Bürostuhl sehnt, wenn er zum zehnten Mal hier hochgeklettert ist? Und was hat die beiden aus dem hohen Norden eigentlich hierher verschlagen, in den letzten Zipfel Bayerns?
M: Was hat euch eigentlich hierher verschlagen, in den letzten Zipfel Bayerns?
BR & BA (lachen): Das ist eine längere Geschichte…
M: Ihr seid offenbar schon ziemlich viel herumgekommen. Britta, du kommst aus Hamburg, hast du mir erzählt.
BR: Ja, ich bin in Eimsbüttel aufgewachsen, direkt neben dem Schanzenviertel, also mitten in Hamburg.
BA: Und ich auf der Insel Föhr.
M: Ah, die weltberühmten Weinberge von Föhr! (alle lachen) Wo habt ihr euch denn kennengelernt, und wie seid ihr ausgerechnet auf Wein gekommen?
BR: Kennengelernt haben wir uns sozusagen auf halber Strecke zwischen Föhr und Hamburg. Bastis Eltern waren da inzwischen hingezogen und meine hatten im Dorf eine alte Reetdach-Kate als Ferienhaus.
BA: Für Wein habe ich mich damals aber noch nicht interessiert. Das ist erst zur Abiturzeit in Kiel gewesen. Da bin ich mit meinem Mitbewohner ab und zu mal in eine Weinhandlung gegangen. Erst habe ich gedacht, hm, ganz schön teuer hier. Dann habe ich aber gemerkt, dass der Wein, der zehn Euro kostet, um einiges besser schmeckt als der für drei Euro. Ich habe dann meine Ersparnisse zusammengekratzt, und wir haben uns vielleicht einmal im Monat einen Zehn-Euro-Wein gegönnt. In der Bücherei habe ich auch Bücher ausgeliehen zum Thema Wein. Fand ich spannend, dass es in Spanien andere Rebsorten gibt als in Deutschland. Als ich fertig mit dem Zivildienst war, habe ich dann interessehalber ein Praktikum in einem Weingut gemacht. So fing das an. Und dann habe ich in Geisenheim Weinbau studiert.
Immer dem Wein hinterher
M: Und du bist mitgegangen, Britta?
BR: Ja, als Basti nach Geisenheim gezogen ist, bin ich mitgegangen. Ich habe dann aber festgestellt, dass ich doch noch nicht sofort mein Referendariat machen wollte und bin erstmal nach Neuseeland gegangen.
M: Wegen der Sprache?
BR: Nee, ich wollte eigentlich nur…
BA: Weit weg (lacht).
BR: Nein, die hatten da so eine Kombination aus Jura und Politik, und Völkerrecht war ja eh mein Thema. Basti hat dann in Neuseeland ein Praktikum gemacht, das war ganz praktisch. Und als er dann fertig war in Geisenheim, ist er als Önologe nach Österreich gegangen, in die Wachau. Ich konnte mitgehen, weil ich da gerade an meiner Doktorarbeit geschrieben habe.
M: Die Wachau ist ja auch ziemlich ländlich. Und ihr wart ganz neu dort und sichtlich fremd, schon vom Dialekt her. Wie ist es euch da gegangen?
BA: Ja, die Wachau ist eine ganz eigene Region. Erstmal ist das Tal schon ziemlich eng, sprich die Leute sind eher konservativ. In dem kleinen Dorf, in dem wir gewohnt haben, waren unsere direkten Nachbarn auch nur ältere Herrschaften um die 65. Die jungen Leute sind alle nach Linz oder Wien gegangen. Aber: Die Wachau ist auch ein berühmtes Weinbaugebiet. Es gibt die Domäne Wachau, das ist die große Genossenschaft, und dann noch ein paar mittelgroße Winzer, die auch alle Önologen angestellt hatten. Da sind wir dann relativ schnell mit Leuten in Kontakt gekommen. Unser Freundeskreis war eine Mischung aus Deutschen und Österreichern.
BR: Aber die waren auch fast alle zugezogen. Also um ehrlich zu sein, das war für uns schon ein bisschen ein Kulturschock in Österreich. Und das, was wir dabei gelernt haben, das haben wir auch mitgenommen für unser Leben jetzt.
Kulturschock in der Wachau
M: Was war denn so schockierend?
BR: Na, nicht direkt schockierend. Aber es war so, dass wir irgendwie auf Zeit da waren. Und nicht nur wir haben das gedacht, auch die Leute haben einem immer dieses Gefühl gegeben, “ihr geht ja bald wieder”. Da kamen wir von “draußen”, das haben die Einheimischen auch so gesagt. Ich glaube, das sind keine so guten Voraussetzungen, um irgendwo anzukommen. Mental immer so auf dem Absprung zu sein. Aber natürlich hatte die Zeit auch ihre guten Seiten. Wir haben immer noch enge Freunde dort. Und außerdem, wenn man früher als Nordeutscher gesagt hätte, man geht nach Bayern, ich glaube, das wäre gar keine Option gewesen für uns. Aber nach Österreich war das dann wesentlich einfacher, hier anzukommen.
M: Du kommst ja nicht nur aus Hamburg, du hast zwischendurch auch noch in Nürnberg gelebt. Vermisst du eigentlich das Großstadtleben?
BR: Also, ich habe die Jahre in Nürnberg schon sehr genossen. Für mich war das einfach toll, so aus dem Haus zu stolpern und zu überlegen, ach, was esse ich jetzt, oder gehe ich ins Kino? Dass ich überall mit dem Fahrrad hinfahren konnte, das habe ich sehr genossen. Weil ich das in Hamburg eben auch immer hatte. Also wir fahren ab und zu nach Hamburg, darauf freue ich mich auch total, aber es ist nicht so, dass ich jetzt sagen würde, ich vermisse es, oder ich müsste da leben, oder ich verpasse irgendwas. Das nicht.
M: Und wie geht es euch mit der Selbständigkeit?
BA: Sehr gut. Das ist für mich eine Erleichterung, das muss ich ganz klar sagen. Die Arbeit ist ja im Prinzip dieselbe, die ich schon kannte. Aber ich habe vorher bei sechs oder sieben Betrieben gearbeitet, und das waren eigentlich immer so Vater-Sohn-Bezüge. Da war es blöd, wenn der Vater das so haben wollte und der Sohn genau andersherum. Und ich war der ausführende Part und konnte es keinem recht machen. War nicht immer so, aber das kommt schon vor in solchen Familienbetrieben. Außerdem ist es jetzt, wo ich selbst Chef bin, anders, morgens um 5 Uhr im Weinberg zu stehen. Weil du das für deinen eigenen Laden machst, nicht für deinen Arbeitgeber. Das sind deine Reben, das gehört dir. Wie gesagt, die Arbeiten an sich waren vorher gar nicht so viel anders, aber das Gefühl ist ein ganz anderes.
M: Plant ihr weiter zu expandieren?
BA: Also dieses Weingut hier in der Konstellation wird wahrscheinlich nie größer als 3 ha werden. Jetzt haben wir 1,7 ha. Wir haben nämlich keinen Businessplan und machen alles Schritt für Schritt. Wir bleiben lieber so klein, weil wir dann noch alles selbst machen können. Wenn du größer wirst, brauchst du auch fest angestellte Mitarbeiter, und dann musst du dich vorher fragen, werde ich eigentlich nur deshalb größer und muss mehr Wein verkaufen, damit ich die Mitarbeiter bezahlen kann? Die Faktoren hängen ja zusammen. Also ich mache das lieber selbst. Außerdem bekommst du kaum Leute für die Steillagen. Das ist richtig anstrengend, darauf haben die keine Lust mehr (lacht).
M: Ihr wollt also für immer bleiben?
BR: Ja. Obwohl mir Basti vor unserer Hochzeit versprechen musste, wenn wir alt und tatterig sind, dass wir dann nach Schleswig-Holstein zurückgehen. Wobei das eigentlich gar keinen Sinn macht. Die Kinder werden auf jeden Fall hier groß, und wer weiß, was dann ist.
M: Was gefällt euch an der Region, in der ihr lebt?
BA: Mir gefällt die Abwechslung, also vom Landschaftbild her. Die Steillagen sind natürlich toll, klar, aber das ist nicht alles. Wenn du ein paar Kilometer weiterfährst, hast du ein Roggenfeld, ein Weizenfeld, dann kommt ein Obstkulturgarten. Auch mal ein hässliches Industriegebäude, aber das gehört dann auch dazu. Keine Monokultur jedenfalls.
BR: Wenn man mit dem Fahrrad nach Großheubach fährt, kommst du durch die Wiesen, fährst am Main entlang, da ist die Badebucht. Dann hast du die Wälder, den Spessart, den Odenwald, die Fachwerkstädtchen. Also wenn du mal einen Moment innehältst und dein Eis isst oder deinen Kaffee trinkst, dann denkst du, ach, hier machen andere Leute Urlaub, ist wohl doch ganz schön hier (lacht).
Sozialkontakte am Untermain
M: Und wie sieht es mit dem Sozialleben aus? Seid ihr besser angekommen als in der Wachau?
BR: Wir haben ja unheimlich nette Nachbarn. Und zu Anfang haben die auch gesagt, eigentlich müsstet ihr hier in den Musikverein oder in den Sportverein. Aber wir sind beide nicht so die Vereinsleute. Das dauert dann vielleicht ein bisschen länger, aber wir finden da schon irgendwie unseren Weg.
BA: Es ist auch eine Arbeitnehmerregion hier. Also es gibt mehrere Firmen, die mehrere tausend Angestellte haben, das ist schon der Anfang des Rhein-Main-Gebiets. Dadurch kommen auch jüngere Leute in die Region.
M: Nur keine Weinbauern.
BA: Nein, zugezogene Bauern oder in diesem Fall Weinbauern, die gibt es nicht. Da bin ich der einzige.
M: Hast du das Gefühl, dass dich die anderen Winzer akzeptieren?
BA: Ja klar. Vor allem dadurch, dass ich schon auf größeren Gütern gearbeitet habe als Betriebsleiter. Da haben die eher Respekt. Und auch die Art und Weise, wie wir ausbauen und warum das so schmeckt, wie es schmeckt. Und warum der Wein so teuer ist. Wir machen nur Steillagen, reine Handarbeit, bio-zertifiziert. Das ist auch der Respekt vor den Lagen hier, quasi Aufwertung oder Wiederbelebung der Terrassenlagen. Das schätzen die anderen Winzer schon, klar.
M: Seid ihr denn nirgends engagiert in irgendeiner Organisation?
BA: Doch, im Weinbauverein. Da machen wir nach und nach auch immer mehr. Ich bin sogar in zwei Weinbauvereinen, weil wir ja Reben in Klingenberg und in Großheubach haben. Und Britta ist Erste Vorsitzende im Kindergarten-Elternbeirat.
BR: Das läuft im Moment viel über die Kinder. Und über den Wein. Das sind sozusagen unsere beiden Ansatzpunkte. Die Familie vermisse ich aber schon, das wäre schön, wenn die etwas näher wohnen würden. Aber Basti braucht weniger die Kontakte als ich, der ruht mehr in sich und ist glücklich mit dem, was er macht.
BA: Stimmt. Aber ich glaube, ich wäre in der Stadt genauso. Das ist ja keine Frage von Stadt oder Land. Was aber ein großer Unterschied ist zwischen Stadt und Land: Hier musst du dir die Dinge immer vornehmen. Also ich komme nicht zufällig an einem interessanten Laden vorbei, gehe rein und kaufe spontan irgendwas. Hier mache ich einen Zettel, nehme das Auto, fahre zu Edeka und kaufe nicht eine Flasche Wasser, sondern fünf Kisten.
BR: Neulich war mal eine Freundin aus Berlin zu Besuch. Das war witzig. Sie hat nämlich gesagt, sie hätte noch nie den Einkaufswagen genommen, sondern immer nur den Korb. Und für mich ist es mittlerweile völlig absurd, den Korb zu nehmen. Wenn schon einkaufen, dann richtig, dann packe ich alles voll.
Was tun als Neue auf dem Land?
M: Wenn ihr Leuten einen Tipp geben würdet, die es so machen wollen wir ihr, also in eine ganz andere Region aufs Land ziehen. Was würdet ihr denen raten?
BR: Darf ich das sagen? Der erste Gedanke, den ich witzigerweise hatte, war, du musst deinem Herzen folgen. Was bescheuert klingt als Antwort. Aber ich glaube, du musst bereit sein, dich darauf einzulassen. Mit allem drum und dran. Dazu gehört, dass du ins Auto steigen musst, dazu gehören auch Eigenheiten von Nachbarn. Anonym ist es hier nicht, darauf musst du dich einlassen.
BA: Also ich passe schon auf, dass ich nicht jetzt am Sonntag oder am Feiertag mit der Motorsense am Rasenmähen bin. Weil sich das nicht gehört. Das können andere machen, das machen auch einige, aber ich würde das jetzt als Neuer nicht machen. Wobei das jetzt auch nichts ist, von dem ich sagen würde, es schränkt mich stark ein. Aber man denkt halt darüber nach, wie andere das empfinden könnten, bevor man etwas macht. Das ist in der Großstadt ganz sicher anders.
BR: Also ich muss sagen, insgesamt passt es für mich einfach hier. Klar, es ist auch Teil der Lebensphase mit zwei kleinen Kindern, aber es passt für mich auch so. Im Moment würde ich sagen, ich würde nie mehr in einer Großstadt leben wollen.
BA: Frankfurt ist ja auch nicht so weit weg, wenn man da hinfahren möchte. Neulich war ich sogar auf einem Rockkonzert.
M: Oho, schau an! (alle lachen)
Mein Fazit
Eigentlich hatte ich ja geplant, nur ganz kurz hier zu sein. Eine halbe Stunde Fotos im Weinberg, eine Stunde Interview und weiter. Jetzt sitzen wir aber schon seit drei Stunden da, haben Gemüse geschnippelt fürs Mittagsessen und trinken noch einen Kaffee, während die Kinder spielen. Ich bin ganz sicher nicht zum letzten Mal in Klingenberg, denke ich mir. Es ist aber schon eine spezielle Situation, wenn man aufs Land geht, um sich dort mit einem Minibetrieb selbständig zu machen. Zum einen läuft die Integration wahrhaftig nicht von allein, weil es ja keine Arbeitskollegen gibt. Zum anderen ist aber die Frage der Infrastruktur, der Arbeitsplätze, der Verkehrsanbindungen nicht mehr ganz so wichtig. Schließlich findet die Arbeit direkt hinter dem Haus statt.
Was die Landwirtschaft anbelangt, bin ich jetzt aber ein bisschen auf den Geschmack gekommen. Was machen heutzutage überhaupt Landwirte, Viehwirte, Forstwirte? Wie läuft die tägliche Arbeit ab? Worauf muss man achten? Und was ist mit den Subventionen, von denen so viel in der Presse steht und von denen man ehrlich gesagt meist nur die Überschriften kennt: “Unsere Bauern werden gepampert.” Ist das tatsächlich so? Um das herauszufinden, muss ich zu jemandem gehen, der sich damit auskennt. So jemand dürfte zwar kaum “neu auf dem Land” sein, aber er kann mir das Landleben neu erklären. Landwirtschaft Version 2018 sozusagen.