Es gibt Kombinationen, die sich so unwahrscheinlich anhören, dass man als interessierter Reporter sofort darauf anspringt. Über eine gemeinsame Freundin in Hamburg hatte ich von Anke Mönning erfahren. Sie hatte viele Jahre in Hamburg verbracht und in Redaktionen gearbeitet. Seit kurzem lebt sie allerdings in Hoheneggelsen, einem Dorf im Landkreis Hildesheim. Dort präpariert und färbt sie Rohwolle und verkauft diese Wolle über den Online-Shop “Garnstories” . Anders als man denken könnte, ist das allerdings kein kleiner Selbstverwirklichungs-Kruschtel-Laden. Anke ist mit dem Shop nämlich innerhalb weniger Monate voll durchgestartet, hat zwei Angestellte (plus einen sehr netten Hund) und versendet in die ganze Welt. Besuch bei einer Unternehmerin.
At home bei Woll-Anke
M: Also was ich besonders interessant finde bei deinem Werdegang, das sind zwei Aspekte. Der eine ist deine Geschäftsidee oder vielmehr, welche Faktoren du für den Erfolg der Idee für entscheidend hältst. Und der zweite ist dein Umzug aufs Land, und wie es dir hier ergeht.
A: Sehr gut. Fangen wir mit dem Geschäft an.
M: Wie bist du eigentlich darauf gekommen, etwas mit Wolle zu machen?
A: Aus dem reinen Interesse heraus. Ich habe schon immer wahnsinnig viel gestrickt, und ehrlich gesagt trage ich die Idee, daraus beruflich etwas zu machen, auch schon sehr lange mit mir herum.
M: Aber gearbeitet hast du ganz woanders?
A: Ja, komplett. Ich habe Anglistik und Germanistik studiert und dann als Redakteurin bei einer Internet-Agentur gearbeitet.
M: …die auf Wollprodukte spezialisiert war?
A: Überhaupt nicht (lacht). Autos. Ich habe die Internetauftritte von Fahrzeugfirmen betreut. Autos mochte ich eigentlich auch schon immer gern, aber letztlich war das nur ein Job, ein fremdbestimmter zudem. Auf die Idee mit einem Online-Shop für Wolle bin ich im Herbst 2015 gekommen. Aber dann habe ich gedacht, hm, warum kaufe ich eigentlich Wolle ein, die schon gefärbt ist? Das kann ich doch auch selbst machen. Also habe ich dann angefangen, Rohwolle einzukaufen, zu waschen, zu färben und online zu verkaufen.
M: Bist du zu Banken gegangen wegen der Finanzierung?
A: Nein, ich habe klein angefangen und mich dann weitergehangelt. Einerseits hätte ich zu viel Angst gehabt, einen großen Kredit zu haben und dann wieder den Druck dahinter. Andererseits hast du als Selbständiger bei Banken eh extrem schlechte Karten.
M: War das alles noch in Hamburg?
A: Ja. Ich habe in meiner Küche gefärbt. Das Shopsystem habe ich dann mit ein paar Features so gebastelt, dass es inhaltlich und rechtlich passt. Ich habe zwar keine Programmierkenntnisse, aber dass ich bei Internet-Agenturen gearbeitet hatte, ist mir da natürlich stark zugute gekommen. Und dann ist das richtig losgegangen. Anfang 2016 habe ich die erste Wolle verkauft, und ein paar Monate später konnte ich schon davon leben.
Erfolgsfaktor Instagram
M: Ah super, das ging ja schnell. Was würdest du denn als deine Erfolgsfaktoren bezeichnen, wenn man das so nennen kann?
A: Also für mich war klar, ich möchte etwas machen, was mich wirklich interessiert. Etwas, das ich mit dem Herzen mache und nicht nur, um damit Geld zu verdienen. Das ist wahrscheinlich die Grundvoraussetzung, denn dann bist du auch zäh genug und hast genug Energie, um das durchzuziehen. Natürlich gehört eine gute Idee dazu, also der Markt darf nicht total gesättigt sein. Das muss man vorher gut recherchieren. Wenn jetzt jemand dasselbe machen wollte wie ich, nur halt zwei Jahre später, dann würde das vermutlich nicht so gut laufen. Ein bisschen Startkapital ist auch sehr hilfreich, keine zwingende Voraussetzung, würde ich sagen, aber es dauert ansonsten deutlich länger, und du musst dich mehr damit beschäftigen, wie du dein Essen und deine Wohnung finanzierst. Das schluckt die Energie, die du für den Aufbau gut gebrauchen kannst. Und dann, das sollte man nicht vergessen, braucht man immer ein bisschen Glück. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort, irgendwas zufällig richtig gemacht, jemanden getroffen, der als Multiplikator die Idee verbreitet.
M: Und wie hast du es konkret gemacht?
A: Zuerst habe ich einen Stand bei einer riesigen Kreativmesse gemietet, der infa in Hannover. Das hat ehrlich gesagt überhaupt nichts gebracht, weil ich gemerkt habe, dass das Publikum viel zu unspezifisch ist. Dann bin ich aber auf Instagram gekommen, und das war der entscheidende Push. Eigentlich hatte ich nur ein Instagram-Profil für Samy eingerichtet und habe da Hundefotos gepostet. Ich bin eh gern auf Instagram unterwegs. Da habe ich dann also auch meine Wolle eingestellt mit einem Verweis auf den Online-Shop. Dann, das ist der zweite Faktor, Thema Glück, hat ein extrem bekannter Strick-Designer meine Wolle da auf Instagram gesehen, fand die super und hat sie bestellt. Der hat glaube ich 120.000 oder 130.000 Follower, und wenn der etwas postet, dann sieht das natürlich ein ziemlich großer Kreis. Und dann, das ist vielleicht der dritte Faktor, ist es in diesem Geschäft wichtig, dass man gut Englisch spricht.
M: Du verkaufst deine Wolle international?
A: Ja, natürlich. Die Strickszene als Bewegung war gerade zu Anfang sehr stark von englischsprachigen Ländern geprägt. Im Moment verkaufe ich ungefähr ein Drittel in Deutschland, ein Drittel in Europa und ein Drittel im Rest der Welt. Wobei der Anteil von Deutschland in letzter Zeit zugenommen hat. Der große Vorteil von Wolle ist auch, dass sie leicht ist. Das heißt, ich kann sie für ziemlich kleines Geld mit der Briefpost auch nach Australien verschicken. Was dann noch dazukommt: Wolle hat für Fans auch so einen Sammel- und Suchtfaktor. Das ist vermutlich ein wesentlicher Grund dafür, weshalb Leute bereit sind, relativ viel Geld dafür auszugeben. Das Gute ist: Wenn man ein schnelles Internet hat, kann man so etwas wie ich eigentlich von überall aus machen.
Am Puls der Zeit in Hoheneggelsen
M: Ha, das zweite Thema! Du wohnst jetzt ja ganz offenbar nicht mehr in Hamburg, sondern in Hoheneggelsen, in einem kleinen Fachwerkhaus auf dem Land. Wie ist denn das passiert?
A: Ich glaube, da sind mehrere Faktoren zusammengekommen. Ich hatte 20 Jahre lang in derselben Wohnung mitten in Hamburg gelebt. Die habe ich wirklich geliebt, allerdings hatte ich keinen Balkon. Und Samy braucht auch viel Auslauf. Das war so ein Faktor, dass ich gesagt habe, eigentlich möchte ich wieder mehr in die Natur. Und einen richtigen Garten haben, nicht nur einen Balkon. Außerdem konnte ich das mit der Wolle nicht mehr nur aus meiner Küche heraus machen. Irgendwann habe ich dann gedacht, ja, warum mache ich das nicht einfach und gehe nach Hoheneggelsen?
M: Kommst du denn von hier?
A: Nicht aus diesem Dorf, aber aus der Gegend. Das Haus gehörte meiner Großmutter, aber es war ziemlich runtergerockt und jahrelang vermietet. Wenn ich gewusst hätte, wie viel hier noch zu machen ist… Bei sowas rechnet man ja eher: Grundstück minus Abrisskosten. Solche alten Dorfhäuser will kaum mehr jemand haben.
M: Wärst du auch in eine andere Gegend auf dem Land gezogen, die du noch nicht kennst?
A: Vermutlich nicht. Also ganz fremd zu sein, das würde mir nicht gefallen. Aber in das Dorf meiner Eltern zu ziehen, also dahin, wo ich aufgewachsen bin, das könnte ich mir genauso wenig vorstellen.
M: Es ist also so eine Kombination: Du bist hier nicht fremd, weil du die Gegend kennst, weil du die Enkelin der ehemaligen Dorfbewohnerin bist. Aber es ist hier nicht deine eigene Vergangenheit, mit der du ständig konfrontiert bist. Du bist nicht „an der Großstadt verzweifelt und zurückgekommen“.
A: Ja, vermutlich ist es so. Viele wissen übrigens, wer ich bin, auch wenn ich die Leute selbst nicht kenne.
M: Kann das nicht auch nerven?
A: Doch, natürlich (lacht). Die sind etwas neugierig und müssen immer alles wissen, was so passiert. Aber andererseits gibt einem das auch das Gefühl, irgendwie dazuzugehören.
Dorfleben und Stadtleben
M: Bist du hier eigentlich im Dorf engagiert in Vereinen?
A: Also ich bin passives Mitglied bei der Feuerwehr (beide lachen). Ansonsten eher weniger. Ich dachte mal, dass ich in einem Chor hier mitsinge, ich habe in Hamburg auch im Chor gesungen. Aber irgendwie ist das… also ich weiß auch nicht, das stresst mich irgendwie ein bisschen, diese Vorstellung, da jeden Montag hingehen zu müssen… Vielleicht mache ich’s irgendwann mal. Aber ich habe jetzt vor, einen Strickkreis aufzumachen zusammen mit einer anderen. Das ist in den Wintermonaten bestimmt ganz schön. Und ich treffe natürlich viele Leute, wenn ich mit dem Hund spazieren gehe. Hund auf dem Dorf ist eh ein riesiger Vorteil, nicht nur für den Hund (beide lachen). Ich suche noch jemanden, mit dem ich ab und zu mal spazieren gehen kann. Also dass ich nicht nur Leute zufällig treffe.
M: Aber ansonsten kannst du dich offenbar sehr gut allein beschäftigen.
A: Ja, ich glaube, das ist für mich wahrscheinlich die Voraussetzung, um hier auf dem Dorf zufrieden leben zu können. Also ich mag schon was mit anderen Leuten machen, aber ich bin nicht ständig darauf angewiesen.
M: Vermisst du etwas am Großstadtleben?
A: Manches schon. Neulich habe ich mit einer Freundin in Hildesheim gesprochen, die saß bei dem schönen Wetter auf dem Markt und hat ihren Freund angerufen, komm doch runter einen Kaffee trinken. Spontan. Sowas vermisse ich schon. Einfach Freunde im Café treffen, bisschen quatschen, Leute beobachten. Oder Geschäfte. Das ist in Hamburg schon anders als in Hildesheim. Hier gibt es ja fast nur noch Ketten, und in Hamburg machen immer wieder mal neue, kleine Geschäfte auf. Oder Flohmärkte, die kann man auch nicht vergleichen. Oder ein größerer Freundeskreis. Also es gibt schon einiges, da braucht man sich nichts vorzumachen.
M: Aber von der Gesamtpunktzahl her würdest du sagen, dass dir dein jetziges Leben besser gefällt.
A: Ja, auf jeden Fall. Arbeitsmäßig ist es viel besser, Platz, Natur, auch Geld. Ich habe Freunde in der Gegend, und ansonsten habe ich auch das Internet. Skypen, bei Instagram herumschauen, das macht mir ja auch Spaß, das ist weder etwas rein Arbeitstechnisches noch etwas, mit dem man nur die Zeit totschlägt, weil einem nichts Besseres einfällt.
Die Zukunft
M: Hast du dir eigentlich schon einmal überlegt, wo du in zehn Jahren stehen möchtest?
A: Jein. Ich habe einen Freund in Wien, der auch selbständig ist, mit dem skype ich einmal pro Woche, und wir besprechen gegenseitig unsere Geschäfte. Also welche Ziele wir haben, was wir machen wollen. Jetzt ganz konkret im Moment würde ich gern den administrativen Teil jemandem übergeben, um wieder etwas kreativer zu werden. Und der kleine Stall da drüben, den könnte man auch renovieren und dann vielleicht dort Workshops anbieten oder so etwas. Also eher kleine Schritte und schauen, was kommt.
Musik und Entwicklung
M: Ganz anderes Thema zum Schluss: Ich habe ja seit meinem letzten Interview angefangen, meine Gesprächspartner nach ihrer Lieblingsmusik zu fragen. Wie sieht das denn bei dir aus?
A: Oh, ein kleiner Sprung! Also glücklicherweise höre ich jetzt wieder mehr Musik als früher, bei der Arbeit geht das ja. Und da habe ich zum Beispiel Britpop wieder entdeckt.
M: Also die Originale aus den Neunzigern?
A: Nein, eher die Leute aus den Neunzigern, die heute noch aktiv sind. Ich habe ja in Hamburg ewig lang in einem Veranstaltungszentrum gearbeitet, wo die Leute bei der Samstags-Disco immer nur dieselben ollen Kamellen hören wollten. Also ich finde die Weiterentwicklungen spannender. Damon Albarn zum Beispiel, der war ja früher bei Blur und dann der Kopf der Gorillaz, das ist wirklich ein cooler Typ. Der ist jetzt 50 geworden, also total mein Alter, er macht immer noch Musik, geht aber abends um zehn ins Bett und steht früh auf. Habe ich neulich in einem Interview mit ihm gelesen. Und macht jetzt eine Reise mit seiner Familie nach Süd- und Nordkorea. Also das ist jemand, der auch heute noch etwas zu sagen hat, bei dem die Zeit auch nicht stehengeblieben ist. Das gefällt mir.
[Hier noch ein sehr interessantes und bezeichnendes Zeit-Interview mit Damon Albarn. In der Tat: Er hat was zu sagen.]
Ausklang
So endet also unser Gespräch mit Überlegungen, wie man sich auch im Alter (ha, ha) noch weiterentwickeln kann, ohne mental totale Brüche vollziehen zu müssen. Anke erzählt mir, wie lange sie sich schon mit dem Gedanken herumgetragen hatte, etwas Eigenes aufzuziehen. Und dass sie froh ist, es jetzt endlich umgesetzt zu haben, mit allen Konsequenzen.
Wir machen dann noch einen kurzen Rundgang durch die Werkstatt. Ich sehe, wie Rohwolle gewaschen wird, die Anke der Qualität wegen zum großen Teil aus Südamerika bezieht, mulesing-free. Dann schaue ich mir die fertigen Garne an und verstehe, dass es diese Kombination ist aus höchster Basisqualität und individueller Farbgebung, von der die Leute offenbar nicht genug bekommen können. Samy hilft natürlich überall mit. Anke stellt nur alle ein bis zwei Monate neue Wolle im Shop ein, die dann im Handumdrehen wieder verkauft ist. Limited Editions, Knappheit des Angebots, die Nische perfekt nutzen, alles solche Marketing-Faktoren, die man auch als handwerklicher Kleinsthersteller berücksichtigen kann und nicht nur als internationaler Großkonzern.
Letztlich führt Anke hier ihr Mini-Weltunternehmen, macht sich die Vorteile der Globalisierung zunutze und lebt trotzdem ganz real in einem kleinen Dorf. Drei Dörfer weiter kennt das Unternehmen schon niemand mehr, dafür aber die ganze Strickszene am anderen Ende der Welt. Irgendwie eine faszinierende Vorstellung und ein Beispiel dafür, was tatsächlich möglich ist. Wenn man Spaß hat, Energie und die Fähigkeit, Zusammenhänge zu begreifen und zu nutzen.