Meine Begeisterung für Schmetterlinge war schon groß, als ich kaum den einstelligen Lebensjahresabschnitt verlassen hatte. Wie so oft bei Interessen aus der Kindheit, hatten sich in der Zwischenzeit aber andere Dinge breitgemacht, die sich als “wichtiger” und “vernünftiger” gerierten. Viele davon sind es wahrscheinlich aber gar nicht. Das seelische Gleichgewicht, so sagt mir meine bisherige Erfahrung, stellt sich dann am ehesten ein, wenn man sich in einer Materie bewegt, bei der Alter, Geschlecht oder Herkunft einfach nicht existieren.
Also ziehe ich wieder los, um Schmetterlinge zu fotografieren. Ich nehme dabei immer dieselbe Route. Mein Spaziergang führt mich im mittelfränkischen Landkreis Roth am Waldrand um eine Feld- und Wiesenfläche herum. Langweilig ist mir dabei nie. Den Wandel der Jahreszeiten kann ich nämlich am besten dann nachvollziehen, wenn ich dieselbe Stelle mehrmals im Jahr sehe. Hier folgen also ein paar Fotos, die ich im Verlauf des Jahres 2018 aufgenommen habe – mit und ohne Schmetterlinge.
März
Mild fing er an, der Winter, und dauerte dann doch viel länger, als es mir eigentlich lieb ist. Mitte März gab es noch heftige Minusgrade, und erst ganz am Ende des Monats trauten sich die ersten Blumen aus der Laubschicht hervor.
Ich freue mich jedesmal darauf, wenn ich in der noch ziemlich kahlen Landschaft die ersten Überwinterer im Sonnenschein sitzen sehe. Tagpfauenaugen gehören immer dazu, Zitronenfalter auch, dazu Kleine und gelegentlich sogar Große Füchse und manche Admirale.
April
In diesem Frühjahr hat jemand Anfang April einfach den Schalter umgelegt. Ich hatte mir gerade noch eine leichte Jacke besorgt, da war es auch schon Sommer. Die Kirschbäume standen so voller Blüten, dass jede Biene quasi einen ganzen Ast für sich allein hatte.
Dazu passt diese denkwürdige Begegnung vom 22. April: Distelfalter überwintern ja nicht bei uns, sondern wandern eigentlich erst Anfang Juni aus dem Mittelmeergebiet ein, um hier die zweite Generation anzusetzen. Dieses Exemplar hatte aber offenbar geahnt, dass sich in diesem Jahr einiges anders verhält. Ohnehin glaube ich, dass wir von Zugvögeln und Wanderfaltern noch einiges lernen könnten.
Mai
Kein Frostrückfall und auch kein später Frühjahrssturm störten die Entwicklung der Natur in diesem Jahr. Und so hing dieser Kirschbaum schon Ende Mai voller roter Früchte.
Der Mai ist traditionell der erste große Monat für Schmetterlinge. Dieser Hauhechelbläuling hat es sich auf einer Mohnblüte bequem gemacht. Das komprimierte Frühjahr führte dazu, dass ich gleichzeitig Aurorafalter als die frühesten Schlüpfer des Jahres neben anderen Sorten durch den Wald huschen sah, die eigentlich erst im Sommer erscheinen.
Juni
Der Juni ist immer der grünste Monat in der Natur. Die Frühjahrsblüten sind verwelkt, und die Herrschaft des Grases beginnt. Die Luft ist voller Pollen, was nicht jedem behagt. Auch viele Schmetterlinge haben jetzt eine kleine Generationenpause.
Wem das Frühjahr offenbar behagt hat, das waren die “Vorfahren” des Kleinen Eisvogels. Diesen Waldrandschmetterling hatte ich bislang ziemlich selten auf meinen Runden gesehen. A propos Vorfahren: Die menschliche Sichtweise ist doch manchmal genauso interessant wie entlarvend. Beim Großen Eisvogel zum Beispiel, sozusagen dem großen Bruder der Art auf dem Foto, dauert die Flugzeit in der Regel gerade einmal zehn Tage. Ungefähr 20mal länger lebt er allerdings als Raupe, und manche Schmetterlinge haben sogar einen mehrjährigen Raupen- und Puppenzyklus, bevor sie in die Lüfte steigen. Trotzdem geben wir dabei ausschließlich den Schmetterlingen Namen, weil sie in unserer Wahrnehmungswelt leben. Vielleicht ist aber in Wirklichkeit die Raupe das “Brain” und nicht etwa das verfressene Etwas, das sich wünscht, sich eines Tages in eine schöne Prinzessin zu verwandeln. Und vielleicht nennen die Kollegen aus der Gras- und Erdwelt ja die Raupe “Eiswurm” und den Schmetterling den “Flattermann vom Eiswurm”. Perspektiven können unterschiedlich sein.
Juli
Mitte Juli begann bereits die Weizenernte, drei Wochen vor der üblichen Zeit. Die Gerste war da schon längst eingebracht. In der Umgebung ballen sich dicke Wolken zusammen, gewittern herum und regnen sich ab. Nur nicht hier. Alles zieht um Mittelfranken herum.
Bunte Schmetterlinge fallen jedem auf, und wenn Grundschulkinder Schmetterlinge malen, sind das sicher seltener die braunen Exemplare. Den Braunen Waldvogel mit seinem goldbraunen Gewand und den Augenringen kann man zwar leicht übersehen, aber eigentlich nicht verwechseln. Ich mag ihn gern, wenn er sich mit zusammengefaltenen Flügeln auf eine Blüte setzt, denn ich weiß: Wenn der Braune Waldvogel erscheint, dann ist Sommer.
August
Allerdings kann der Sommer gelegentlich auch des Gutes zu viel sein. Nicht nur die Stadtbewohner brüteten in diesem Sommer in ihren Betonhäusern. Auch die Beeren trockneten dank Hitze und Dürre einfach am Busch, wenn die Wurzeln nicht tief genug reichten. Anfang August glich meine Spazierrunde eher einer Steppenexpedition.
Unter solchen Bedingungen fühlten sich nur wenige Schmetterlinge einigermaßen wohl. Ochsenaugen und Schachbrettfalter, typische August-Schmetterlinge, bekam ich dieses Jahr kaum zu sehen. Nur der Schwalbenschwanz, der ohnehin irgendwie einen subtropischen Touch besitzt, segelte noch ziemlich unbeeindruckt über die trockenen Wiesen.
September
Einerseits war ich wirklich erleichtert, als die große Sommerhitze endlich vorbei war und wenigstens die Nächte kühler wurden. Andererseits schwingt ja immer die Befürchtung mit, der Winter könnte genauso übergangslos einbrechen wie im April der Sommer. Dass ich meine neue Jacke dann wieder nicht anziehen kann, ist dabei sicher das geringste Übel. Der Winter brach dann aber doch nicht ein, und in der milden Septembersonne leuchteten überall herbstliche Beeren wie diese Hagebutten.
Gelblinge wie die Goldene Acht gibt es fast das ganze Sommerhalbjahr über. Aber einerseits kommen die Achten manchmal als Wanderfalter erst später, andererseits scheinen sie im Hochsommer so beschäftigt, dass ich sie nie sitzend fotografieren kann. Erst im September kehrt Ruhe ein. Die Gelblinge saugen an Luzerne und anderen Kleesorten, die als Gründüngung auf den abgeernteten Getreidefeldern wachsen. Außerdem ist jetzt Balz- und Paarungszeit bei der späten Generation. Die Raupen werden dann überwintern. Letztes Jahr war die Goldene Acht übrigens Schmetterling des Jahres beim BUND Naturschutz, in diesem Jahr ist es der Große Fuchs.
Oktober
Inzwischen ist das erste Sturmtief durchgezogen. Die Bäume auf meiner Spazierrunde sind davon zwar kaum in Mitleidenschaft gezogen worden, aber dafür ihre Früchte, sofern sie noch hingen. Bei manchen halbwilden Apfelbäumen sieht es am Boden so aus, als hätte jemand schön säuberlich alle Äpfel gepflückt und dort abgelegt. Auch Walnüsse finde ich reichlich, die Früchte des Sturms sozusagen.
Im Grunde ist die Schmetterlingssaison 2018 damit abgeschlossen. In ein paar Tagen werde ich noch eine letzte Runde drehen mit einer herbst-typischen Kombination aus Wehmut und Hoffnung. Das Fantastische ist nämlich: Der Frühling wird auch nächstes Jahr wieder kommen, und mit ihm die neue Schmetterlingssaison.