Als ich Arndt in Gittelde am niedersächsischen Harzrand besuche, ist das einer der Tage, die in diesem Sommer bislang so selten waren. Milchig ist das Licht, und die Sonne bleibt hinter den Wolken verschwunden. Dabei wird es darunter so schwül, dass die Blinden Fliegen mit Freuden zustechen. Arndt ist Landwirt und gehört damit, so seltsam es sich anhören mag, einer aussterbenden Gattung an. Schaute früher “aus jeder Haustür eine Kuh heraus”, wie Arndt mir erzählt, gibt es heute im Dorf nur noch drei Familien, die ausschließlich von der Landwirtschaft leben. Obwohl sich die Menschen immer mehr dafür interessieren, was sie essen und wie die Umwelt beschaffen ist, wissen immer weniger, was ein Landwirt eigentlich macht. Zeit für ein Interview.
M: Arndt, wie steht der Weizen?
A: So mittelprächtig, würde ich sagen. Es hat lange nicht geregnet hier oben, das gefällt dem Getreide natürlich nicht. Der Mais macht dafür gute Forschritte, man muss sich wundern. Aber den haben wir auch relativ spät gesät. Mais braucht viel Wärme, und die haben wir in diesem Jahr.
M: Was baust du überhaupt an?
A: Wir haben 35 Hektar Ackerland, und auf dem bauen wir hauptsächlich Weizen, Gerste, Mais und Raps an. Früher hatten wir auch Kühe, aber die sind inzwischen verkauft, das Grünland verpachtet. 35 Hektar sind zu wenig, um heutzutage richtig davon leben zu können. Eigentlich dachte ich auch, dass ich mit 70 auf keinen Trecker mehr steigen würde, aber solange es mir Spaß macht und es mir gut geht, mache ich eben weiter.
M: Wolltest du das schon immer machen?
A: Nein, ich wollte Tierarzt werden. Aber mein Vater ist so früh gestorben, da war ich noch in der Schule. Dann musste ich den Betrieb sehr schnell übernehmen…
M: Du bist Agraringenieur, oder?
A: Ja, das habe ich noch draufgesattelt. Aber wenn mich jemand nach meinem Beruf fragt, dann bin ich kein Agraringenieur, sondern Landwirt.
M: Was gefällt dir an deinem Beruf?
A: Also für mich ist das der schönste Beruf, den man überhaupt haben kann. Erstmal ist man sein eigener Herr. Dann hat man das Gefühl, in einer langen Tradition zu stehen. Und schließlich ist es sehr abwechslungsreich, da wiederholt sich nichts. Jedes Jahr sind die Bedingungen anders, und wenn du siehst, wie das Getreide aufgeht, wie es heranwächst, das ist wirklich schön. Wenn ich oben auf dem Acker bin und so in die Landschaft schaue, dann weiß ich, das ist meine Welt.
M: Wann stehst du morgens auf?
A: Um sechs. Das war auch nicht anders, als wir noch Kühe hatten, denn die brauchen einen ganz gleichmäßigen Rhythmus. Mit Vieh zu arbeiten ist noch abwechslungsreicher natürlich, aber es macht auch bedeutend mehr Arbeit. Da stehst du dann auch Weihnachten und Ostern im Stall, Urlaub gibt es keinen. Ackerbau ist dagegen eine reine Saisonarbeit. In der Erntezeit arbeite ich auch manchmal die ganze Nacht durch, aber wenn die Bestellung dann vorbei ist, hat man den halben Winter Zeit, um sich wieder zu regenerieren.
Was sich alles verändert hat in der Landwirtschaft
M: Du machst das ja jetzt schon seit vielen Jahren. Was hat sich denn in den letzten Jahrzehnten am meisten verändert?
A: An meiner eigenen Arbeit hat sich vor allem verändert, dass ich jetzt so viel am Schreibtisch sitzen muss, dass ich alles dokumentieren muss. Dünger, Spritzmittel, Getreidesorten, Blühsaat, Abmessungen, alles mögliche. Diese vielen Vorgaben aus Brüssel, das ist die Entschädigung dafür, dass sie ja quasi Geldgeber sind über die Subventionen. Dann haben sie eben einige Bedingungen daran geknüpft. Bei manchen ist das wahrscheinlich auch nötig gewesen…
M: Was meinst du damit?
A: Naja, da oben im Dreieck zwischen Weser und Ems, da gibt es einen extrem hohen Viehbesatz je Fläche. Das heißt, dass die Flächen oft übergüllt worden sind. Exzessiver Dünger- und Spritzmitteleinsatz, das sind so die hauptsächlichen Dinge. Hier bei uns war das nie ein großes Problem. Zum einen kosten Dünger und Spritzmittel einfach Geld, und da versucht man als kleiner Bauer schon, so wenig wie möglich dafür auszugeben und so effizient wie möglich zu arbeiten. Und dann gibt es hier in der Feldmark natürlicherweise einen hohen Grünlandanteil, unterschiedliche Getreidesorten, Buschreihen und Bäume dazwischen. Das ist alles kleinteilig, sehr abwechslungsreich, da ist die Balance viel besser gegeben. Wir haben hier jedenfalls nie überdüngt oder so etwas, aber über die viele Bürokratie müssen wir sozusagen mit den Verfehlungen der anderen mitleiden.
M: Aber ihr bekommt auch Gelder aus Brüssel dafür, oder?
A: Ja, ohne die Subventionen könnten wir hier nicht existieren. Die sind ja rein an die Fläche gebunden, also egal was ich anbaue und relativ egal, wie viel ich habe. Es gibt gewisse unterschiedliche Berechnungsgrundlagen, aber das schwankt nur so zwischen 270 und 300 Euro pro Hektar. Für mich ist das ein wichtiges Zubrot, aber wenn ich 1.000 Hektar hätte, könnte ich sogar allein von den Subventionen leben, ohne dass ich dafür arbeite.
M: Siehst du denn eine Zukunft für kleinere Landwirte?
A: Nein, nicht im Haupterwerb, nicht wenn man mithalten will.
M: Und was hältst du von alternativen Ansätzen? Erzeugergemeinschaften, solidarische Landwirtschaft, Regionalwert-AGs, solche Sachen.
A: Ja, das halte ich für möglich, aber es ist immer eine Frage der Mentalität. Da muss man sich schon gut verstehen, vor allem, wenn man es gewohnt ist, alle Entscheidungen ausschließlich selbst zu treffen. Hier im Nachbardorf hatten sich zwei Betriebe zusammengetan, aber das ist mit dem Generationenwechsel dann wieder auseinandergefallen. Interessanterweise scheinen bei solchen Dingen die psychologischen Fragen wesentlicher zu sein als die rein ökonomischen. Ist ja bei einer guten Ehe auch so. (lacht)
Bio als Alternative
M: Und was ist mit Bio?
A: Das ist eine hervorragende Sache. Bio-Landwirte haben zwar niedrigere Erträge und auch deutlich mehr Arbeit, aber die Verbraucher sind bereit, die höheren Preise dafür auch zu zahlen. Insofern rentiert sich das. Aber das Problem ist, dass so ein Konzept eigentlich an eine Nische gebunden ist. Wenn das alle so machen würden, würden die Preise auch wieder in den Keller gehen.
M: Könnte man eigentlich ohne Dünger und Spritzmittel arbeiten?
A: Nein, das geht nicht. Ohne Chemie läuft in der Landwirtschaft gar nichts mehr. Einmal haben wir Monokultur auf dem Feld, dann steht die Frucht auch bedeutend dichter als früher, der Ertrag ist höher. Und dann habe ich manchmal das Gefühl, dass das Getreide so gezüchtet wird, dass es anfälliger ist für Krankheiten.
M: Naja, da gibt es ja auch jede Menge Profiteure…
A: Ja, da würde man ohne Lehrgänge und die Experten bei der Landwirtschaftskammer gar nicht mehr durchblicken. Obwohl: In den letzten Jahren sind nicht mehr so viele Mittel auf den Markt gekommen. Zum Teil auch durch die Verbote, die es gegeben hat. Ich hoffe nicht, dass sich jetzt dadurch Resistenzen entwickeln, dass die immergleichen Mittel nicht mehr anschlagen. Das wäre dann nämlich genau das Gegenteil von dem, was man erreichen wollte.
M: Wie stehst du zu Glyphosat?
A: Schwierige Sache. Ich bin ja ein konventioneller Landwirt sozusagen, also finde ich es erstmal nicht gut, das ganz zu verbieten. Denn es hat schon gewirkt, und wenn ich sehe, dass Kollegen statt früher einmal jetzt viermal spritzen fahren, um das Glyphosat zu kompensieren, und dann noch pflügen an erosionsgefährdeten Stellen, dann weiß ich nicht so recht. Aber natürlich haben manche Leute das auch übergenutzt. Ich habe zum Beispiel gehört von Großbauern, die eine lange Anfahrt haben, dass sie ihre Frucht, wenn sie mähen wollten, 14 Tage vorher so gespritzt haben, dass alles gleichzeitig reif wurde. Das würde ich nie machen, ins Getreide spritzen. Aber wie gesagt, mir wären strenge Regeln lieber als ein Totalverbot.
Was sich am meisten lohnt
M: Womit erzielt man eigentlich die besten Preise?
A: Also um unten mal anzufangen, für Gerste bekomme ich am wenigsten. Das sind allerdings auch schwierige Bedingungen hier bei uns. Alles sehr steinig, hügelig, die Ernte spät, viel Niederschlag. Früher haben die Leute gesagt, das wäre hier der Pisspott des lieben Gottes. (lacht) Nein, aber ernsthaft, wenn ich oben auf dem Berg stehe, dann ist das hier die letzte Gerste vor dem Brocken. Also landschaftlich herrlich, landwirtschaftlich ein bisschen herausfordernd. Weizen geht besser, aber in den letzten Jahren hat Raps am meisten gebracht. Das wurde auch extra gefördert wegen Biodiesel. Aber deshalb ist Raps auch eine politische Pflanze, abhängig von politischen Entscheidungen. Im Frühjahr war die Blüte ziemlich schlecht, da hatten wir Frost bekommen, und jetzt heißt es schon, man würde mittlerweile andere Ölpflanzen importieren, aus Indonesien oder was weiß ich. Letztlich wissen wir gar nicht, was wir für den Raps bekommen. Auf solche Entwicklungen können wir nicht schnell genug reagieren.
M: Weil du nur einmal im Jahr ernten kannst?
A: Eigentlich sogar seltener als einmal im Jahr. Raps und Mais sind nämlich zehrende Pflanzen, der Mais ist beispielsweise ein Humusfresser. Die traditionelle Fruchtfolge macht also wirklich Sinn, denn der Boden ist ja unser Kapital, und ich möchte die Bodenfruchtbarkeit auf jeden Fall erhalten. Soll heißen: Du kannst nur alle vier Jahre solche Pflanzen auf derselben Fläche anbauen, was spontane Entscheidungen schon mal ein bisschen schwierig macht. Und Landwirtschaft bedeutet ja prinzipiell Kontinuität. Wenn ich jetzt in etwas investiere, dann möchte ich auch gern die Gewissheit haben, dass das Ganze 30 Jahre lang hält. Aber leider ändern sich die Bestimmungen in letzter Zeit sehr schnell. Ob das bauliche Dinge sind, Tierschutz, Düngemittelverordnung, Förderrichtlinien, alles ähnelt einem schnelllebigen Geschäft, während ich langfristig denken möchte. Die sollen ihre Gesetze und Richtlinien also ruhig machen, aber bitteschön doch so durchdacht, dass sie auch eine Weile halten.
M: Und wie informierst du dich darüber, was gerade angesagt ist?
A: Einmal über die Lehrgänge bei der Landwirtschaftskammer und dann noch über Fachzeitschriften. Ich habe zum Beispiel das hier abonniert, “Land & Forst”. Da wird über sämtliche Sachen geschrieben, die mich als Landwirt interessieren, die Preise von Düngemitteln, neue Bestimmungen, auch ein bisschen was Unterhaltsames. Früher hatte ich noch die “Top Agrar” abonniert, die war auch sehr interessant. Aber die Themen doppeln sich manchmal schon, das sind ja Wochenzeitschriften. Mir reicht mittlerweile eine davon, aber wer sich ernsthaft mit landwirtschaftlichen Themen beschäftigt, sollte sowas auf jeden Fall lesen.
M: Was würdest du dir wünschen zum Abschluss unseres Gesprächs, so im Sinne einer idealen Landwirtschaft für dich?
A: Also ich würde mich sehr darüber freuen, wenn ich meine Produkte möglichst lokal zu fairen Preisen verkaufen könnte. Subventionen gefallen mir eigentlich nicht, die sind ja nur dazu da, um die Verbraucherpreise hier künstlich niedrig zu halten. Aber das ist schon eine komplizierte Sache, darüber sollten wir uns lieber beim nächsten Mal unterhalten. Und zum Dorfleben wollte ich dir auch noch etwas erzählen, das ist nämlich interessant, wie sich das über die letzten Jahrzehnte verändert hat.
Ein kurzes Fazit
Auf diese Weise bin ich zwar um einiges klüger, aber längst noch nicht satt an Informationen, als ich den Hof wieder verlasse. Mich würde noch interessieren, ob die Weltmarktpreise einen Einfluss auf das haben, was Arndt tut. Und wie das mit den Flächenaufkäufen von Leuten ist, die nicht aus der Landwirtschaft stammen. Gut also, dass ich noch einmal wiederkommen kann. Die Feldmark, meint Arndt, sollte ich mir allerdings diesmal bereits ansehen. Obwohl das Mittagsessen schon fast auf dem Tisch steht, sagt er einfach, “ach warte, ich fahre dich da schnell noch hin!”, und im nächsten Moment brausen wir über die Feldwege. Die Sonne scheint zwar weiterhin nicht, aber irgendwie verstehe ich vollkommen, weshalb es schön sein muss, im Sommer hier seinen Arbeitsplatz zu haben.